Wie mein Leben meine Persönlichkeit verändert hat

In diesem Jahr der grossen Veränderungen und Projekte, habe ich mehrmals Komplimente erhalten, die mich sprachlos gemacht haben. Sprachlos, weil ich sie noch nie zuvor gehört habe und weil sie nicht zu meiner eigenen Wahrnehmung, „wie ich so bin“, passen. Ich kenne und schätze meine Stärken. Doch die Komplimente, um die es hier geht, betreffen Bereiche, die ich klar als meine (zähneknirschend akzeptierten) Schwächen bezeichnen würde.

Als Psychologin weiss ich, dass die Persönlichkeit theoretisch im Erwachsenenalter relativ stabil sein sollte. Doch offenbar habe ich mir mit 40 Jahren neue Eigenschaften zugelegt. Wenn mir vor ein paar Jahren jemand gesagt hätte, dass diese Adjektive in Verbindung mit mir verwendet werden, hätte ich herzlich gelacht. Ich wundere mich und alle, die mich schon lange kennen, dürfen sich mitwundern. Doch mit der sprachlosen Verwunderung kommt auch eine unglaubliche Energie. Deswegen teile ich diese sehr persönliche Erfahrung mit euch. Wenn es möglich ist, dass Menschen mich so wahrnehmen, dann ist einfach alles möglich! Nichts ist in Stein gemeisselt. Ihr könnt euch neu erfinden, Vorstellungen und Meinungen zu euch selbst über Bord werfen und euch vollkommen anders als gewohnt verhalten. Und so, ganz nebenbei, eure Persönlichkeit verändern.

Fit

Ich war das Schulkind, das als letzte in ein Team gewählt wurde, die Gymnasiastin, die Menstruationsbeschwerden vorgetäuscht hat, um nicht beim Volleyball mitmachen zu müssen und die Studentin, die am liebsten stundenlang gelesen und körperliche Anstrengung soweit wie möglich vermieden hat. Meine drei Schwangerschaften haben meinen Körper so in Mitleidenschaft gezogen (für die medizinisch Interessierten: Bandscheibenvorfall und Rektusdiastase), dass ich nicht anders konnte als regelmässig Sport zu machen. Ich gebe es ungern zu, aber es tut gut. Und um noch etwas anzugeben, das Kompliment, ich sei wirklich fit, kam von meiner Yogalehrerin!

Entscheidungsfreudig

Soll ich diesen Pulli kaufen? Soll ich den Job wechseln? Soll ich Menu 1 oder 2 bestellen? Soll ich heiraten? Ob kleine oder grosse Fragen, ich habe früher immer lange hin und her überlegt, andere um Rat gefragt und viel Zeit für Entscheidungen gebraucht. Nicht immer zur Freude der Personen in meinem Umfeld, die so lange warten mussten. In meinem Alltag als berufstätige Mutter habe ich schlichtweg keine Zeit mehr zum Nachdenken. Kunde am Telefon und Kind sieht aus wie kurz vor einem Schreianfall – sofort iPad mit Peppa Wutz hinstellen. Zwei Kinder mit den Köpfen gegeneinander geprallt – umgehend das schlimmer verletzte Kind verarzten. Bus verpasst, weil ich zu Hause nicht rechtzeitig wegkam – ohne Zögern 100 CHF in ein Taxi investieren, um rechtzeitig beim wichtigen Termin zu sein. Die letzten Jahre waren die beste Lebensschule für Schnelligkeit und haben meine Intuition geschärft.

Mutig

In meinem früheren Leben war ich vorsichtig und angepasst. Ich wollte nicht auffallen und vor allem nicht anecken. Lieber behielt ich meine Meinung für mich, statt einen Konflikt zu riskieren. Ich habe es bevorzugt, still zu sein, als möglicherweise etwas Blödes zu sagen oder einen Fehler zu machen. Am liebsten hätte ich es allen recht gemacht. Ihr könnt euch vermutlich vorstellen, wozu das als arbeitende Mutter geführt hat – zur kompletten Erschöpfung. In diesem Bereich habe ich stark an mir gearbeitet und bin auch noch fleissig dran. Zu erkennen, wozu ich alles fähig bin, hat mich furchtlos gemacht. Ein Vorstellungsgespräch ist ein Spaziergang im Vergleich zu einer Zugfahrt mit einem schreienden Baby. Ein eigenes Business aufzubauen ein Klacks gegenüber einer Geburt. Und einen halbtägigen Workshop zu leiten ist erholsamer als ein Kindergeburtstag.

Attraktiv

Ich war nie eine Frau, die besonders grossen Wert auf ihr Aussehen gelegt hat. Innere Schönheit finde ich wichtiger als äussere Schönheit. Ich hasse Shopping und meine Lieblingskleider sind Trainerhosen und Turnschuhe. Doch nach Jahren mit Walfischbauch, Augenringen, ungewaschenen Haaren, Schwangerschaftskleidung und verkotzten T-Shirts hatte ich einen Moment der Eingebung. Nachdem ich alle drei Kinder zum Haareschneiden gebracht habe, habe ich auch mir selbst einen Coiffeurtermin gebucht. Mangels Zeit hatte ich meine Haare einfach wachsen lassen. Plötzlich hatte ich diese wunderschöne Lockenfrisur. Ich schaute in den Spiegel und sagte innerlich zu mir selbst: „Stimmt, du bist auch noch eine Frau und nicht nur eine Mutter. Du darfst schön aussehen.“ Mit Zalandos Hilfe habe ich dann meine nicht mehr passenden Kleider ersetzt. Wenn ich nicht gerade auf dem Spielplatz bin, habe ich durchaus wieder ein präsentables Aussehen. Erstaunlich viele verschiedene Menschen machen mir Komplimente dazu. Ich bin aber überzeugt, dass den Komplimente eben doch vor allem die innere Schönheit zugrunde liegt: Gerade bin ich trotz allen Herausforderungen so zufrieden mit mir selbst, wie noch nie zuvor in meinem Leben.

 

Willst du deine Geschichte auch neu schreiben und zu einer Person werden, deren Leben sie selbst überrascht? Es kostet etwas Überwindung und braucht eine Portion Mut. Doch ich verspreche dir, es lohnt sich!

 

Julia Wenger
Coach für berufstätige Mütter
julia-wenger.com

4 thoughts on “Wie mein Leben meine Persönlichkeit verändert hat”

  1. Liebe Julia, ein ganz wunderbarer Text über auf die Veränderungen die das Leben mit uns und wir mit dem Leben machen. Vielen Dank für das Teilen Deiner Erfahrungen. Das stellt auf, wie Du die Dinge beleuchtest. Du hast Recht, durch das Mutter sein wird man selbst und die Welt teilweise eine andere. Und damit können wir eine ganze Menge machen.

    1. Danke, liebe Jana, für deinen schönen Kommentar. Es freut mich, dass mein Text dir gefällt und dass meine Erfahrungen bei dir Verständnis auslösen.

  2. Liebe Julia,

    Ich liebe dein Blog! So ehrlich geschrieben und passt zu dir! Ich bin auch einverstanden mit den Komplimenten, die du in deinem Blog erwähnt hast. Das Muttersein bringt einiges mit sich. Man verändert sich. Ob gut oder schlecht, merkt man viel später, aber das ist halt so. Deshalb ist es schön, konstruktive Feedbacks zu erhalten. Dadurch realisiert man die blinde Flecken an sich selber.

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