Liebe Fritz und Fränzi Redaktion

Ihr beschreibt in eurem Magazin (www.fritzundfraenzi.ch/erziehung/mutter-superheldin-und-suendenbock/) ausführlich ein kulturell geprägtes und angeblich rückständiges Ideal der Mutterliebe. Dieses Ideal, so eure Argumentation, führe dazu, dass sich Mütter bis zur Erschöpfung für ihre Kinder aufopferten. Philosophische Diskussionen und wissenschaftliche Untersuchungen sollen belegen, dass es die bedingungslose Mutterliebe und den Mutterinstinkt nicht gibt und die Mutter-Kind-Beziehung eine Beziehung wie jede andere zwischen Menschen ist.

Der Artikel hat mich als Mutter von vier Kindern zunächst sehr bewegt und dann zur Introspektion angeregt. Diese verbinde ich mit einer kritischen Reflexion als Psychologin und Coach von Müttern. Ich bin der Meinung, dass Ideale nicht für falsch erklärt werden sollten, nur weil es schwierig ist, sich ihnen anzunähern. Genau dafür sind Ideale da, dass wir uns mit ihnen auseinandersetzen und an ihnen wachsen können.

Mutterwerden ist natürlich

Dass Zyklus, Schwangerschaft und Geburt natürliche Vorgänge sind, ist eine Tatsache und keine feministische Erfindung. Es ist gut für Frau, Mutter und Kind, wenn sie als natürlich erlebt werden. Sie können als schön erlebt werden – statt als lästiges Übel des Frauseins. Meine erste Schwangerschaft brachte mich zum ersten Mal in meinem Leben in eine tiefe Verbindung mit meinem Körper. Meine Geburten waren natürlich, schmerzfrei und ohne Eingriffe und gehören zu den prägendsten Erfahrungen, die ich bisher als Mensch machen durfte. Und seit ich nach meinem Zyklus lebe, hat sich meine Lebensqualität deutlich verbessert. Dass viele Frauen ganz andere Erfahrungen machen, liegt meiner Meinung nach an verzerrten Darstellungen, an einer einseitig risikoorientierten medizinischen Sichtweise dieser natürlichen Vorgänge und an einer Geringschätzung des weiblichen Körpers. Fremdbestimmung und Übergriffe bis hin zu traumatischen Erlebnissen während der Geburt sind leider keine Seltenheit. Und auch wenn an der einen oder anderen Stelle in diesen Prozessen medizinische Unterstützung notwendig und sinnvoll ist, ändert dies nichts an der eigentlichen Natürlichkeit.

Mutterliebe ist persönlich wahrnehmbar

Ich persönlich spüre die Mutterliebe in der Beziehung zu meinen Kindern und möchte sie auf keinen Fall missen. Das Gefühl, das eigene Kind nach der Geburt zum ersten Mal im Arm zu halten, ist unbeschreiblich. So viel Freude und Liebe habe ich noch nie in meinem Leben empfunden. Das Gefühl bleibt nicht ganz so überwältigend, aber es ist auch nach 13 Jahren Mutterschaft noch deutlich spürbar. Es unterscheidet sich deutlich von allen anderen Gefühlen, die ich bisher in familiären, freundschaftlichen oder partnerschaftlichen Beziehungen oder in der Liebe zu nicht-menschlichen Dingen wie der Natur oder der Musik erfahren habe. Es zeigt sich als warmes Gefühl in der Brust, wenn eines meiner Kinder etwas Neues gelernt oder einen grossen Schritt gemacht hat. Es zeigt sich als körperlicher Schmerz, wenn ich merke, dass eines meiner Kinder unter einer Krankheit oder den Herausforderungen des Lebens leidet. Ich nehme Anteil an ihrem Leben und freue mich, ihre Mutter zu sein. Als Mutter bin ich nicht zufriedener, aber ich erlebe mein Leben als sinnvoller. Ausserdem erlebe ich alle Gefühle wie Angst, Wut, Trauer, aber auch Freude und Heiterkeit häufiger und intensiver.

Aufopferung hat andere Gründe als Mutterschaft

Ich stimme der Autorin zu, dass Aufopferung und das Vergessen der eigenen Bedürfnisse auf Dauer belasten und niemandem dienen. Weder ein Mutterideal noch das Muttersein an sich sind für diese Verhaltenstendenz verantwortlich. Es ist ein innerpsychisches Muster, das viele Menschen, insbesondere Frauen, in sich tragen. Ähnliche Verhaltensweisen mit Überengagement und Lamentieren über das vermeintlich fehlende Engagement anderer habe ich bei vielen Frauen auch im beruflichen Kontext und in ehrenamtlichen Initiativen erlebt. Es gibt Studien, die belegen, dass bereits kleine Mädchen dazu angehalten werden, sich um andere zu kümmern und die Verantwortung für das Wohlergehen einer Gruppe über ihre eigenen Bedürfnisse zu stellen. Entsprechend verhalten sie sich auch im Verlauf ihres Lebens. Besonders verheerend wird dieses Muster als Mutter, da die Kinder nicht oder nur wenig für sich selbst sorgen können. Hier schlage ich vor, dass die Betroffenen bewusst ihre inneren Konstellationen erforschen, die solche Verhaltensweisen begünstigen oder hervorbringen. Dabei können sie wertvolle Erkenntnisse über sich selbst gewinnen. Neben der gesellschaftlichen Prägung sind oft eigene Unsicherheiten und Bindungsschwierigkeiten die Ursache.

Bindung zwischen Mutter und Kind entsteht ab der Zeugung

Damit sind wir beim Thema Bindung. Kein Psychologe wird bestreiten, dass der Grundstein für die Bindungsfähigkeit in der Kindheit gelegt wird, insbesondere im Alter von 0 bis 3 Jahren. Die Mütter kommen hier sogar noch früher ins Spiel. Neue Studien belegen, dass die Entwicklung der Hirnstrukturen von Kindern mit dem Erleben und den neuropsychologischen Reaktionen ihrer Mütter während der Schwangerschaft zusammenhängt. Erste Bindungserfahrungen und körperliche Anlagen für spätere Bindungsmöglichkeiten entstehen also bereits in der Interaktion zwischen Mutter und Ungeborenem. Es ist erfreulich zu lesen, dass nach der Geburt auch andere Personen als Mütter zu zugewandten und liebevollen Interaktionen mit Säuglingen fähig sind. Tatsache ist aber, dass die Mütter der Säuglinge diese Verantwortung zu einem statistisch relevanten grossen Teil freiwillig übernehmen oder übernehmen müssen. Das Stillen als nachweislich beste Säuglingsernährung trägt selbstverständlich zu dieser Zuwendung bei. So entsteht bei den meisten Kindern die engste Bindung zur Mutter.

Anwesenheit einer Bindungsperson sorgt für innere Sicherheit

Die Bindungstheorie besagt nicht, dass die Mutter beim Kind sein muss, um es zu unterhalten oder zu fördern. Sie besagt, dass die Anwesenheit der Mutter für die meisten Kinder ein Gefühl innerer Sicherheit vermittelt. Dies gilt insbesondere für Kleinkinder. Eine solche sichere Bindung ist die Grundlage dafür, dass das Kind Explorationsverhalten zeigen kann, sich also traut, die Welt zu erkunden. Ich selbst konnte dies durch ein unfreiwilliges Experiment – die Corona-Massnahmen – erfahren. Plötzlich waren meine drei Kinder und ich wochenlang zusammen zu Hause. Und ich konnte beobachten, wie die Kinder allein durch meine ständige Anwesenheit deutlich ruhiger wurden. Ausser bei meinen Nervenzusammenbrüchen, wenn ich mich mit dem Anspruch, gleichzeitig im Homeoffice zu arbeiten, einen Erstklässler zu unterrichten, einer Kindergärtnerin beim Basteln zu helfen und ein Kleinkind zu betreuen, masslos überfordert fühlte. Dass jemand das ernsthaft für möglich hielt, erstaunt mich bis heute. Ich habe aus dieser Zeit gelernt und arbeite seither nur noch halbtags und wenn die Kinder in der Schule sind. Das hat unsere Familiensituation deutlich entspannt, ist aber nur durch meine Flexibilität in der Arbeit möglich, die die meisten Eltern nicht haben.

Beziehungen und Mutterrolle können selbstbestimmt gestaltet werden

Oft wache ich ein paar Augenblicke vor einem meiner Kinder auf oder habe ich nach einem Blick ein Bauchgefühl, wie es meinen Kindern geht, ob sie krank werden oder was sie gerade brauchen. Das hat sicher damit zu tun, dass ich mit keinem anderen Menschen so viel Zeit verbracht und mich so intensiv mit ihm beschäftigt habe. Genauso wichtig ist, dass ich mich meinen Kindern gerne aktiv zuwende, dass ich ihnen mit Zärtlichkeit und Fürsorge begegne und ein tiefes Verantwortungsgefühl für meine Aufgabe als Mutter habe. Das war nicht immer so. Als mein erster Sohn geboren wurde, hatte ich eine grosse Krise. Ich war überfordert und total gestresst, obwohl ich mein Kind liebte. Ich erwartete Glück und erlebte Einsamkeit und Monotonie. Mein Selbstwertgefühl war angeknackst, weil ich meine Arbeit verloren hatte und es sich als unmöglich erwies, alle Anforderungen unter einen Hut zu bringen. Ich hatte weder gelernt, für mich selbst einzustehen noch mich und meine Emotionen zu regulieren. Es hat lange gedauert und viel innere Arbeit und Einüben neuer Verhaltensweisen erfordert, bis ich zu einer zugewandten und entspannten Mutterrolle gefunden habe, in der ich auch mich selbst ernst nehme. Durch einen solchen konstruktiven Umgang mit den Herausforderungen des Lebens können sowohl Selbstwirksamkeit (Überzeugung in der Lage zu sein, neue Situationen erfolgreich zu bewältigen) als auch Kohärenzsinn (Fähigkeit, das Leben als verständlich, handhabbar und sinnvoll zu erleben) gestärkt werden. Beide Faktoren sind zentrale Elemente psychischer Gesundheit.

Mütter brauchen ein unterstützendes Umfeld

Wenden wir uns nun den Kindern zu: Wer ist bereit, deren Bindungsbedürfnisse in den Mittelpunkt seines Handelns zu stellen? Anders als bei den im Artikel erwähnten Naturvölkern stand bei mir keine Dorfgemeinschaft zur Verfügung, um mich zu unterstützen und eine Bindung zu meinen Kindern aufzubauen. Aus meiner Erfahrung in der Arbeit mit Müttern ist der größte Stressfaktor für die Mütter nicht die Beziehung zu den Kindern, sondern das Alleinsein mit der Aufgabe. Wo Kinder sind, sind Mütter. Wenn jemand ehrenamtlich hilft, sind es meistens andere Mütter: Mütter mit gleichaltrigen Kindern, Mütter mit älteren/erwachsenen Kindern oder Großmütter. Und ja, auch Väter, Kinderlose, Jugendliche und ältere Geschwister machen mit und sind sehr wichtig. Aber der größte Teil der Betreuungsarbeit mit Kindern wird von den Müttern geleistet. Die mangelnde Wahrnehmung, Anerkennung und Wertschätzung dieser Sorgearbeit ist ein gravierendes Problem. Gleiches gilt übrigens auch für all jene, die sich aus Liebe um kranke, behinderte oder alte Angehörige und Freunde kümmern. Dieser Personenkreis ist ebenso wie Mütter von Erschöpfung bis hin zum Burnout bedroht. Sie sind überengagiert, weil sie zu viel Verantwortung allein tragen. Fürsorge und Unterstützung für Menschen, die nicht für sich selbst sorgen können, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Wir brauchen mehr Bindung und Menschenliebe

Kinder sind die Zukunft der Menschheit und es macht einen Unterschied, ob sie in ihrer Entwicklung zu bindungs- und lebensfähigen Menschen einfühlsam und achtsam begleitet werden. Wir sollten uns bewusst sein, dass es in unserer westlichen Welt eine regelrechte Bindungsarmut gibt. Einsamkeit ist der größte Stressfaktor für junge und alte Menschen. Psychische Auffälligkeiten und Erkrankungen im Kindesalter nehmen zu, ebenso die Suizidrate bei Jugendlichen. Bindungsprobleme sind die Ursache für innere und äußere Konflikte im Erwachsenenalter. Sie führen zu weiterreichenden zwischenmenschlichen Problemen wie einer hohen Scheidungsrate oder gewalttätigen Auseinandersetzungen. Stabile und liebevolle Beziehungserfahrungen sind die Grundlage dafür, Konflikte einvernehmlich und friedlich lösen zu können.

Statt die Mutterliebe abschaffen zu wollen, könnten wir sie im Sinne der Agape/Nächstenliebe als Leitstern für die gesamte Menschheit nehmen. Wie sähe eine Gesellschaft aus, in der es für die Mehrheit selbstverständlich ist, ihre eigenen Interessen immer wieder zurückzustellen, um für andere da zu sein? In der Liebe und Fürsorge für Schwächere als zentrale gesellschaftliche Anliegen gelten? In der sich die Gestaltung der Zukunft an den Bedürfnissen der Kinder orientiert? Ich bin überzeugt, dass eine solche Gemeinschaft nicht nur für Mütter und Kinder, sondern für alle Menschen verbindender, liebevoller und lebenswerter wäre.

 

Komm ins Gespräch mit mir

Du hast Interesse an Einzelcoaching, individueller Körperarbeit oder Austauschräumen? Lass uns ins Gespräch kommen und herausfinden was für dich das richtige ist. Schick mir eine Nachricht mit deiner Fragestellung – ich melde mich umgehend bei dir zurück.

Deine Anfrage zu ... *
Einzelcoaching
Körperarbeit